Die Wiener Stadtregierung hat sich auf Initiative von SPÖ-Stadtrat Jürgen Czernohorszky im Jahr 2023 eine “Demokratie-Strategie” verordnet, am 22.10.2025 wurde sie beschlossen. WirMachenWien war bei der partizipativen Erstellung der Strategie dabei und hatte weitreichende Forderungen eingebracht. Davon finden wir im Ergebnis wieder: Verbesserung des Petitionsrechts, Bürger:innen-Räte und verbindliche Grundlagen als vage Zielsetzungen.
Was hatten wir vorgeschlagen?
Die Stadtregierung hatte richtig erkannt, dass die zunehmende Zahl der Menschen, die mangels österreichischer Staatsbürgerschaft nicht an demokratischen Abstimmungsprozessen teilnehmen können, stark zugenommen hat. Über ein Drittel der Bevölkerung ist davon betroffen! Dem trug die Zielsetzung der Demokratie-Strategie Rechnung. Wir sahen viele gute Elemente im Entwurfstext vom Jänner 2025. Der Input zahlreicher Menschen aus Zivilgesellschaft und Verwaltung hatte Früchte getragen. Aber es gab auch Mängel bei der Verbindlichkeit und Wirksamkeit, Details dazu hier in unserem Artikel.
Im Rahmen der Stellungnahmen hatten wir daher fünf konkrete Vorschläge übermittelt:
- Bei Petitionen nach Petitionsgesetz wird die Behandlung der Petitionen anstatt dem Gemeinderatsausschuss direkt an einen repräsentativen, gelosten Bürger:innenrat übergeben, der dann konsentorientierte Empfehlungen an den Gemeinderat bzw. Stadträt:innen und Bezirksvorstehungen weitergibt.
- Mit einer Partizipationsanwält:in wird eine unabhängige Position in der Magistratsdirektion oder noch besser pro Bezirksvorstehung geschaffen, die als Ansprechstelle, Unterstützer:in und Monitoring-Beauftragte:r tätig ist.
- 23 Bezirksbürger:innenräte werden eingerichtet, die als Dauerinstitution für eine Legislaturperiode gelost sind, um bezirksspezifische Anliegen zu verhandeln und Empfehlungen an die Bezirksvorstehung auszusprechen, die behandelt werden müssen.
- Bürger:innenräte und Beteiligung werden in der Stadtverfassung verankert.
- Transparenz in der Stadt- und Bezirkspolitik wird proaktiv gestaltet und online verfügbar gemacht.

Der irische Bürger:innenrat für Artenschutz tagt hier im April 2023 (Infos)
Wie sieht das Resultat aus?
Unsere fünf zusätzlichen Forderungen wurden im vorliegenden Beschlusspapier (Online-Version hier) kaum berücksichtigt. Partizipationsanwält:in, Bezirksbürger:innenräte und Verankerung von Bürger:innenräten in der Stadtverfassung wurden nicht aufgenommen. Zwei Punkte sind aus Sicht der WirMachenWien-Anliegen als positiv hervorzuheben:
- Die “Reform des Petitionswesen wird diskutiert” werden, unser “Offener Brief an den Petitionsausschuss” hat Wirkung gezeigt.
- Es wurden “verbindliche Grundlagen für den Einsatz losbasierter Demokratieprojekte” als Zielvorstellung aufgenommen. Ein Bürger:innen-Rat ist in Aussicht gestellt.
Wann und wodurch diese Zielvorstellung durch den Gemeinderat hergestellt wird? Wie die Verbindlichkeit von Empfehlungen des Bürger:innen-Rates hergestellt werden soll? Das bleibt offen. Wir sind jedenfalls schon jetzt bereit für eine Reform des Petitionswesens! Dafür haben wir ja unsere “Evaluation der Empfehlungen des Petitionsausschusses 2021-2024” vorbereitet, die wir bald publizieren werden.

Spannendes Detail (Kapitel 4.1): Die Einrichtung eines Demokratie-Beirats wird angestrebt. Mit welchem Pouvoir?

Im selben Kapitel 4.1 werden Reformen des Petitionsrechts und Bürger:innen-Räte angeführt. Aus dem Konjunktiv müssen noch Taten werden.
Intransparentes Ende eines vielversprechenden Anfangs
Der Prozess zur Demokratie-Strategie begann mit einer Enquete im Jahr 2023, wurde von einer politikwissenschaftlichen Studie der Arbeiterkammer Wien gestützt und im Frühjahr 2024 in ein Beteiligungsformat überführt, an dessen Ende ein Gemeinderatsbeschluss im Mai 2025 stehen sollte. Im Jänner 2025 ging ein Entwurf online, den alle Wiener:innen kommentieren konnten.

WirMachenWien hatte sich in allen Abschnitten proaktiv eingebracht und gemeinsame Forderungen übermittelt. Am 8.4.2025 fand sodann eine Partizipationsveranstaltung von Büro für Mitwirkung (BfM) und Urban Innovation Vienna (UIV) statt, bei der die Bewertung aller Kommentare und Forderungen gezeigt und diskutiert wurde. Diese Bewertung wurde aber nicht veröffentlicht. Das weitere Vorgehen auf dem Weg zur Beschlussvorlage fand hinter verschlossenen Türen statt, Anfragen wurden nicht mehr beantwortet.
Seit Mai 2025 stand sodann ein Dokument des Büro für Mitwirkung online, das alle Änderungen zeigt, die “durch die Kommentare und das Feedback während der Online Beteiligungsphase vom 30. Jänner bis 21. Februar 2025 sowie der Abschluss-Werkstatt am 8. April 2025 an der Strategie vorgenommen wurden”. Dazu heißt es: “Im Sinne des Gemeinwohls und in einem Aushandlungsprozess hat die Stadt Wien abgewogen, welche Beiträge gebündelt in die Strategie aufgenommen wurden. Auf dieser Basis wird nun die finale Wiener Demokratie-Strategie erstellt.”
Am 22.10.2025 wurde sie beschlossen. Auf der neunstufigen “Partizipationsleiter”, auf der die Mitbestimmungsstufen in der Forschung dargestellt werden, stehen wir also in Wien weiterhin bei Stufe 6 der “Mitwirkung”, von Stufe 7 der “Mitbestimmung” bleibt die Bevölkerung ferngehalten. Ob das ein Ziel für eine Demokratie-Strategie wäre? Der Bürgerr:innen-Rat kann sie erklimmen, wenn er Verbindlichkeit – bestenfalls in der Stadtverfassung – bekommt.
Im Strategiepapier und der dazugehörigen Presseaussendung heißt es: “Durch transparente Prozesse, echte Beteiligung und die Berücksichtigung vielfältiger Perspektiven werden Entscheidungen nachvollziehbarer und gemeinschaftlich getragen.” Es gibt also noch viel zu tun, um dies zu erreichen.

Im Rathaus zeigen Gemeinderat Thomas Weber, Demokratiestadtrat Jürgen Czernohorszky und Gemeinderätin Nina Abrahamczik die soeben beschlossene Strategie. (Foto Stadt Wien / Bubu Dujmic)

