In Deutschland gibt es mittlerweile 99 Superblock-Initiativen – in Wien bleibt der erste Superblock in Favoriten bislang der einzige. Warum das so ist und welches Potenzial hier noch ungenutzt bleibt, zeigt ein Blick nach Berlin – und in unsere eigenen Grätzl. Es warten nämlich sieben “Supergrätzl” auf Umsetzung, für die Bezirksbeschlüsse vorliegen.
Der erste Wiener Superblock
Im Herbst 2025 wird Wiens erstes Supergrätzl fertiggestellt. Im 10. Bezirk, Favoriten zwischen Gudrunstraße, Leebgasse, Quellenstraße und Neilreichgasse entsteht rund um die Mittelschule Herzgasse ein neuer, lebenswerter Stadtraum: mit Sitzgelegenheiten, Gemeinschaftsbeeten, einer Fußgänger:innenzone, 60 neuen Bäumen und 94 zusätzlichen Grünflächen.
Der Weg dorthin begann 2021 mit einer Konzeptentwicklung, gefolgt von einem Straßenlabor und einer Pilotphase mit provisorischen Maßnahmen. 2023 startete der Bau – bald ist er abgeschlossen.

Doch: Dieser eine Block soll vorerst der einzige in Wien bleiben. Weitere Projekte sind nicht in Planung – solange die Evaluierung nicht abgeschlossen ist. Eine umfassende Strategie zur Umsetzung fehlt bislang. Es gibt allerdings einige Beschlüsse in Bezirksvorstehungen für Supergrätzel, die auf Umsetzung warten. Dazu mehr unten.
Wien braucht mehr aktive Superblock-Inititaiven
Die einzige aktive Bürgerinitiative mit dem Ziel eines Superblocks ist bisher die Agendagruppe Lichtental mit der Projektgruppe Supergrätzl Lichtental. Im dicht bewohnten Grätzl Lichtental (9. Bezirk) zwischen Liechtensteinstraße, Althanstraße und Alserbachstraße sehen die Mitglieder der Initiative bestes Potential für die Umsetzung eines Superblocks mit dem Lichtentalerpark im Zentrum.

Das Konzept Superblock
Ursprünglich aus Barcelona stammend, beschreibt das Konzept Superblock ein verkehrsberuhigtes Stadtviertel, das den Durchgangsverkehr ausschließt. Autos dürfen zwar zufahren – aber nicht durchfahren. Innenräume gehören den Fußgänger:innen und Radfahrer:innen. Weniger Parkplätze, dafür Pocket-Parks, Begegnungszonen und viel Grün. Der öffentliche Verkehr bleibt am Rand des Viertels gut erreichbar.

Das Konzept soll langfristig die Aufenthaltsqualität eines Viertels, die Klimaresilienz sowie das Miteinander stärken. Mehr über die Grundlagen erfährst du in unserem Artikel „Was ist eigentlich ein Superblock?“
Deutschland: 99 Initiativen, 21 davon schon umgesetzt
Während Wien abwartet, wächst die Bewegung in Deutschland rasant:
99 Superblock-Initiativen sind bundesweit aktiv – davon 73 allein in Berlin. 41 Projekte wurden bereits politisch beschlossen, 21 sind umgesetzt oder in Umsetzung, darunter 13 in Berlin. Selbst Kleinstädte wie Nürtingen machen mit.

Ermöglicht wird das durch ein Netzwerk engagierter Menschen – unterstützt vom Verein Changing Cities. Mit praktischen Leitfäden („How to Kiezblock“), Online-Treffen („Kiezblock-Runde“) und einem niedrigschwelligen Beratungsangebot („Dr. Kiezblock“) hilft der Verein Bürger:innen beim Gründen neuer Initiativen. Mit Empfehlungen für Superblocks (ESu) hat er Verein außerdem auch einen Leitfaden zur Implementierung von Superblocks für Verwaltungen herausgegeben.

Ein wichtiges Instrument ist der Einwohnerantrag. Mit 1.000 Unterschriften können Bürger:innen ein Superblock-Projekt offiziell auf die Agenda ihrer Bezirksverordnetenversammlung setzen – 30 Mal wurde dieser Weg bereits erfolgreich genutzt.
Changing Cities versteht sich dabei auch als Lobby der Superblock-Bewegung. Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit verschafft die Organisation dem lokalen Engagement eine überregionale Bühne.
Am 15. Mai 2025 stoppte Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) allerdings überraschend die Finanzierung aller Kiezblock-Projekte – darunter ein Modellprojekt in Mitte mit zwölf geplanten verkehrsberuhigten Zonen. Begründet wurde der Schritt mit mangelnder Berücksichtigung von Lieferverkehr, Rettungsdiensten und ÖPNV. Die Zukunft der rund 70 Kiezblock-Initiativen in Berlin ist nun ungewiss.

Und in Wien? Warten sieben auf Umsetzung!
Während die Superblock-Bewegung in Berlin nach dem Bottom-Up Prinzip funktionierte, wurde der Superblock in Favoriten bisher durch strategische Planungen dem Top-down Prinzip realisiert: Forschungsprojekte und Strategiepapiere wie der Wiener Klimafahrplan erwähnen regelmäßig das Konzept, doch es fehlt an konkreten Zielen, Ressourcen und politischen Druck auf der Bezirksebene.
Zwar gibt es in Wien, wie erwähnt, bereits die Initiative Lichtental, die sich für einen Superblock einsetzt, doch noch fehlt die strukturelle Rückendeckung. Eine starke Strategie zur Ausrollung und Vervielfältigung des Konzeptes, vergleichbar mit der Berliner Dynamik, fehlt bisher noch.
Superblock-Initiativen verlaufen sich in Wien auch im Antragsprozedere von Mitmach-Budgets wie hier 2022 in der Josefstadt und warten trotz Beschlüssen in den Bezirksvertretungen auf Umsetzung.

Diese sieben Superblocks bzw auf Wienerisch “Supergrätzl” wären bereit zur Planung:
- Bezirksbeschluss: Supergrätzl Mariannengasse, Alsergrund > Beschluss Bezirksvertretung Alsergrund am 21. Juni 2023 (Protokoll PDF) “Stadt Wien soll eine umfassende Aufwertung und Verkehrsberuhigung des Bezirksteils rund um den MedUni-Campus Mariannengasse zwischen Alser Straße, Spitalgasse, Lazarettgasse und Hebragasse prüfen” Artikel MeinBezirk
- Bezirksbeschluss: Supergrätzl Rudolfsheim-Fünfhaus Kandidat 1 (Felberstraße – Neubaugürtel – Tannengasse – Märzstraße) > Beschluss Bezirksvertretung Rudolfsheim-Favoriten am 30. Juni 2022 (Antrag PDF)
- Bezirksbeschluss: SuperGrätzl Rudolfsheim-Fünfhaus Kandidat 2 (Fenzlgasse – Hütteldorfer Straße – Johnstraße – Beckmanngasse) > Beschluss Bezirksvertretung Rudolfsheim-Favoriten am 30. Juni 2022 (Antrag PDF)
- Bezirksbeschluss: SuperGrätzl Rudolfsheim-Fünfhaus Kandidat 3 (Sechshauser Straße – Mariahilfer Straße – Hollergasse – Reindorfgasse) > Beschluss Bezirksvertretung Rudolfsheim-Favoriten am 30. Juni 2022 (Antrag PDF) und Ablehnung durch SRin Sima (Facebook laut KPÖ)
- Bezirksbeschluss: Supergrätzl rund um die Schleifmühlgasse und Mühlgasse, Wieden > Beschluss Bezirksvertretung Wieden vom 14.12.2023 (Antrag PDF)
- Bezirksbeschluss: SuperGrätzl Zeillergasse, Hernals > Beschluss Bezirksvertretung Hernals am 15.12.2022 (Antrag PDF)
- Bezirksbeschluss Supergrätzel in der Josefstadt, Breitenfeld > siehe Screenshot oben
Andere Ideen wie die Einreichung zum Klimateam Ottakring im Hippviertel wurden von Seiten der Stadt Wien in Begrünungen ohne verkehrsorganisatorische Maßnahmen, die einem Superblock entsprechen würden, umgeplant: Klimafittes Hippviertel (Info Stadt Wien)
Das Potenzial wäre da!
Dabei zeigt das Forschungsprojekt SUPERBE aus dem Jahr 2020 deutlich: Wien hätte viele geeignete Grätzl. Eine GIS-Analyse identifizierte Bezirke mit hoher Bevölkerungsdichte, wenig Grünraum, schwacher Durchlässigkeit für Fußgänger:innen und guter Öffi-Anbindung – ideale Bedingungen für Superblocks.
Besonders hervorgehoben wurden beispielsweise den 7. Bezirk Neubau mit seiner dichten Bebauung und stark versiegelten Flächen hervor, wo durch Begrünung eine neue Aufenthaltsqualität erzeugt werden könnte. Neben dem bereits umgesetzten Projekt in Favoriten wurde außerdem der 16. Bezirk Hernals genannt, da die Mischung aus Alt- und Neubauten ideal für neue Mobilitätskonzepte wäre.

Maßnahmen wie Diagonalsperren, Sitzflächen und Verkehrsberuhigung könnten nicht nur die Lebensqualität steigern, sondern bis zu 738 kg CO₂ pro Grätzl und Tag einsparen.
Auch die beiden Initiativen Radlobby und Geht doch Wien gefragt. Gemeinsam haben sie die Superblock-Grundkarte erstellt. Die Karte verortet bereits existierende Superblock-ähnliche Gebiete in Wien, gibt an, wo in Zukunft neue Superblocks entstehen könnten und welche Initiativen sich dafür einsetzen. Damit wollen die beiden Initiativen die Entstehung neuer Superblocks in Wien beschleunigen.

Was Wien jetzt braucht
Laut dem TuneOurBlock-Forschungsbericht (2024) fehlt es Wien nicht an rechtlichen Möglichkeiten – sondern an einer stadtweiten Strategie mit:
- Messbaren Zielen
- Politischem Rückhalt in den Bezirken
- Einer zentralen Koordinationsstelle
- Verlässlicher Kommunikation statt temporärer Markierungen
- Genügend Personal und Budget
- Strukturierter Bürger:innenbeteiligung über Pilotprojekte hinaus
Wir machen Wien – gemeinsam!
Wenn Berlin uns eines lehrt, dann dass die Veränderung Bottom-Up auf der Straße beginnt – bei den Nachbar:innen im Grätzl. Wir brauchen mehr Bewegung von unten – und Unterstützung von oben.
Willst du mitmachen? Dann schließ dich einer bestehenden Initiative an – zum Beispiel Supergrätzl Lichtental – oder starte selbst eine! Auf unserer Website findest du How-To-Guides, Karten und Anlaufstellen!
Quellen
https://laut.studio/wp-content/uploads/2024/09/20240728_TuneOurBlock_DIFU_2024_Superblocks_final.pdf
https://www.ait.ac.at/fileadmin//mc/mobility/Projects/IMS/SUPERBE/SUPERBE_Endbericht.pdf
https://changing-cities.org/kampagnen/superblocks/
https://www.wien.gv.at/stadtplanung/supergraetzl-favoriten