Ein internationales Vorbild für Bürger:innen-Beteiligung
Gleisdreieck – schon im Namen steckt ein Kreuzungspunkt von Schienen. Das Gleisdreieck in Berlin lag zwischen Anhalter und Potsdamer Bahnhof und war ein wichtiges Zentrum der Industrialisierung. Nach dem Einwirken unterschiedlichster Bürger:inneninitiativen seit den 1970er Jahren wurde das Gelände schließlich zwischen 2011 und 2014 als Park am Gleisdreieck neu eröffnet. Dieser ist ein internationales Beispiel für Bürger:innen-Beteiligung und unermüdlichen Aktivismus für den urbanen Raum. Ein Park auf ehemaligem Bahngelände? Das kommt uns doch auch aus Wien bekannt vor! So kämpft auch die #WirMachenWien Initiative Westbahnpark seit Jahren für einen Park entlang Gleise des Westbahnhofs.
Doch auch bis es zum Park am Gleisdreieck kam, brauchte es langwierige Verhandlungen, glückliche Fügungen der Geschichte sowie Irrungen und Wirrungen:
Vom Zentrum der Industrialisierung zum Biotop
Da, wo sich heute ein Park und Freizeitmöglichkeiten befinden, lag lange Zeit ein intensiv genutztes Industriegelände in Angliederung an den Potsdamer Bahnhof. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände stark beschädigt, der zugehörige Bahnhof brannte ab und wurde schließlich 1951 abgerissen. Das Gelände drum herum geriet in Vergessenheit und wurde von der Natur überwuchert. Erst in den 1970er Jahren wurde es von Umweltschützer:innen und Bürger:inneninitiativen wiederentdeckt. Die Vegetation begeisterte sie, da trotz fehlender Humusschicht eine große Artenvielfalt vorhanden war. Eine „Natur der vierten Art“ – also Flora, die sich spezifisch auf industriellen Stadtbrachen entwickelt, aber nicht bewusst gesät wurde – hatte sich über den ehemaligen Eisenbahnschienen breit gemacht. Es folgten 25 Jahre Diskussionen um die Nutzung des Geländes.
Grüntangente statt Westtangente – Die erste Bürger:inneninitiative
Die erste Bürger:inneninitiative, die sich für den Erhalt dieses Geländes stark macht, ist ab 1977 die „Bürgerinitiative Westtangente“. Im Flächennutzungsplan für Westberlin war festgehalten worden, eine Autobahn durch das Gelände zu bauen. Die „Bürgerinitiative Westtangente“ organisierte alternative Stadtrundfahrten, eine Wanderausstellung und rief regelmäßig zu Demonstrationen auf. Sie kritisierten auch die Grünflächenplanung, indem sie ein Picknick auf dem zukünftigen Autobahnkreuz veranstalteten unter dem Motto „Wir nutzen unsere Grünflächen“.
Die Dringlichkeit ihres Anliegens unterstrichen sie außerdem durch den Mangel an Grünflächen in den angrenzenden Bezirken Schöneberg und Kreuzberg. 1977 sammelte die Bürger:inneninitiative 4.500 Unterschriften gegen den geplanten Bau.
1978 stellte die Initiative bereits einen ersten Vorgängerentwurf für den zukünftigen Park am Gleisdreieck vor unter dem Namen eines „Grünverbindungsnetzes“. Dieses grüne Netz sollte sich von der Bahnbrache des Schöneberger Südgeländes, dem sogenannten Flaschenhals, über das Gleisdreieck Gelände hin zum Tiergarten erstrecken. Aus dem Protest gegen die geplante Autobahn entstand schließlich ein produktives Ziel – der Park, welcher nach und nach in den Mittelpunkt der Aktivitäten rückte. Über die Zeit hinweg eigneten sich auch die Bewohner:innen das Gelände an, begannen dort zu picknicken und zu grillen. Ihrer Meinung nach sollten nur Fuß- und Radwege das Gelände durchkreuzen.
Der Park wird konkret
Mit einem Regierungswechsel im Frühjahr 1989 schien der Park plötzlich greifbar nah. Die SPD und die Alternative Liste siegten und kappten in ihren Koalitionsvereinbarungen schließlich die Pläne für die Erweiterung der Autobahn. Die „Bürgerinitiative Westtangente“ beschloss nun bereits 15 Jahre nach ihrer Gründung dennoch weiter zu kämpfen – längst hatten sie ein neues Ziel, die Verwirklichung ihrer Grüntangente. Für dieses Ziel kämpften sie weiterhin durch Geländespaziergänge, Feste, Baumwachen und Picknicks, Teilnahmen an Bürger:innenbeteiligungsverfahren, Klagen vor Gericht sowie Einsprüchen bei förmlichen Planungsverfahren.
Der Mauerfall im Oktober desselben Jahres wirbelte jedoch alles noch einmal neu durcheinander: Waren der Potsdamer und Leipziger Platz angrenzend an das Areal vor dem Bau der Mauer lebendige Zentren gewesen, wuchs nun das Interesse die Plätze wiederzubeleben – auf dem Gelände der erhofften Grüntangente.
Mit dem Bau des Potsdamer Platz kam das Gelände zwischenzeitlich sogar zurück zu seiner Funktion vor dem 2. Weltkrieg, ab 1992 fand die Logistik für die Baustellen am Potsdamer Platz und den neuen Tiergartentunnel auf dem Gelände seinen Platz.
Die geplante Privatisierung der Bahn – ein glücklicher Zufall
Paradoxerweise war es gerade die Bebauung der Plätze, die endlich den ausschlaggebenden Impuls für den Bau des Park am Gleisdreieck gaben. Die Deutsche Bahn wurde 1994 vom staatlichen Betrieb als privatwirtschaftliches Unternehmen ausgegliedert, um eine spätere Privatisierung vorzubereiten. Die Bahn war nun angehalten, nicht mehr benötigte Flächen an die Kommunen zurück zu verkaufen. Eines dieser Areale war das Gleisdreieck.
Die Vertragspartner vereinbarten, dass die Deutsche Bahn dem Land Berlin auf dem Gelände am Gleisdreieck 16 Hektar zur Anlage eines Parks überlässt. Hier spielte das Bundesnaturschutzgesetz den Initiativen in die Karten: Nachteile, die aus der Bebauung innerstädtischer Areale hervorgehen, sollten durch Naturschutzmaßnahmen und Landschaftspflege kompensiert werden. Folglich waren die Investoren, die fast 90 Prozent des angrenzenden Potsdamer und Leipziger Platzes verbauten, zu Ausgleichszahlungen verpflichtet, die schließlich dem Gleisdreieck zugutekommen sollten.
Rahmenkonzept für den Park im 21. Jahrhundert
2005 wurde endlich der städtebauliche Vertrag zwischen dem Land Berlin und der Immobiliengesellschaft Vivico geschlossen. Im folgenden Jahr stellte die von der AG Gleisdreieck gegründete Parkgenossenschaft ihr Rahmenkonzept vor. Darin erarbeiteten sie eine Idee für Parks im 21. Jahrhundert, die nicht aus einer homogenen Fläche besteht, die vom Grünflächenamt gehegt und gepflegt wird. Die Arbeitsgemeinschaft schlug stattdessen vor, eine vielfältige und partizipative Landschaft zu entwerfen, in der die historischen Spuren und das wilde Grün bewahrt werden und Nutzer:innen Verantwortung für einzelne Parkflächen übernehmen. Die ökologische Vielfalt geht so Hand in Hand mit der kulturellen Vielfalt, die durch interkulturelle Gärten, selbst organisierte Spielplätze in Naturerlebnisräumen, künstlerische Interventionen und vieles mehr entsteht.
Bürger:innenbefragung – ein Park der zwei Geschwindigkeiten
Im Vorfeld des Bauwettbewerbs wurde eine Bürger:innenbeteiligung organisiert. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ermittelte die Bürger:inneninteressen durch verschiedene externe Büros. Dabei kristallisierten sich bei der Auswertung zwei Interessengruppen heraus. Die eine wünschte sich vor allem einen ruhigen Naturpark, die andere wollte den Park vor allem für Aktivitäten nutzen und ausgestattet sehen. Die Senatsverwaltung gab allerdings zu, Teile der Bevölkerung – vor allem die mit Migrationshintergrund – kaum erreicht zu haben. Deswegen bot die Senatsverwaltung an zwei Wochenenden im Herbst 2005 geführte Spaziergänge an. Im Vorfeld forderte sie an rege frequentierten Orten in der Umgebung an Informationsständen zum Kommen auf. Auch über eine Online-Webseite wurde die Bürger:innenbefragung weitergeführt.
Der Siegerentwurf
Der Gewinner des Wettbewerbs war schließlich das Atelier Loidl. Die Jury lobte die vielfältigen Landschaftsabschnitte innerhalb des Entwurfes, die unterschiedliche Atmosphären für unterschiedliche Nutzer:innen anboten – weite Rasenflächen für sportliche Aktivitäten sowie schattige Baumgruppen zum Entspannen. Die Jury lobte die unterschiedlichen eingearbeiteten Nutzungsmöglichkeiten des Entwurfs und sah in dem Wegenetz mit schnellen Verbindungen und der Möglichkeit zu gemütlichen Spaziergängen eine gelungene Ausführung der Forderung nach einem Park der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Auch die Leitidee „Die grüne Pause in der Stadt“ fand sehr viel Zuspruch. Die industrielle Geschichte des Parks und die Überwucherung wurden durch Zitate in das Konzept eingearbeitet.
Bau und projektbegleitende Arbeitsgruppe
Der Bau des Parks ging schließlich in Kooperation mit der zwölfköpfigen projektbegleitenden Arbeitsgruppe einher. Die 2007 gegründete Arbeitsgruppe bestand aus Vertretern verschiedener Gruppen, darunter die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Mitte, die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die Grün Berlin GmbH als Bauherr und das Atelier Loidl. Zusätzlich nahmen auch Vertreter der Bürger:inneninitiativen sowie Vertreter der Quartiersräte Schöneberg Nord, Magdeburger Platz und Tiergarten Süd teil. Moderiert wurde die Gruppe zu Beginn von einer Mitarbeiterin der Grün Berlin GmbH. Da sie allerdings gleichzeitig als Vertreterin des Bauherrn agierte und somit nicht vollständig neutral war, wurde sie schließlich durch den vom Projekt unabhängigen Landschaftsarchitekt Martin Seebauer ersetzt.
Die Arbeit war jedoch nicht ohne Spannungen. Die Bürger:inneninitiativen kritisierten den Siegerentwurf und forderten weniger Eingriffe in die bestehende Vegetation. Die Verwaltung legte zwar Wert auf eine umfassende Bürger:innenbeteiligung, doch die Bürger:innenwünsche blieben oft hinter den gestalterischen Vorstellungen des Atelier Loidl zurück. Schließlich wurde in der Planung ein Kompromiss zwischen urbanen und naturbelassenen Bereichen geschlossen sowie Flexibilität im Bauprozess vorbehalten: Es wurde ein Budget für die zukünftige Weiterentwicklung und Anpassungen nach Bürger:innenwünschen auch nach der Eröffnung offen gehalten.
Der Park heute
Am 2. September 2011 eröffnete schließlich der östliche Teil des Geländes und am 31. Mai 2013 der westliche Teil des Geländes. Das Gelände am Gleisdreieck wurde zum Park am Gleisdreieck. 2014 wurde schließlich der Dora-Duncker-Park (vormals: Flaschenhalspark) in Schöneberg mit 5,5 Hektar eröffnet. Der Park umfasst nun insgesamt 31,5 Hektar Fläche.
Gleichzeitig ist der Park Heimat für unterschiedliche Initiativen und Projekte und bietet Platz für zivilgesellschaftliches Engagement und kreative Projekte, wie den interkulturellen Garten „Rosenduft“, der seit den 1990er Jahren von Kriegsflüchtlingen aus Jugoslawien gepflegt wird. Auch der Naturerfahrungsraum, wo Umweltbildung stattfindet, sowie unterschiedliche Kulturprojekte, die sich mit der Topografie und Geschichte des Ortes auseinandersetzen, finden dort ihren Platz.
Der Kampf um den Grünraum hört nicht auf
Doch noch immer gibt es Grund für regen Aktivismus um den Park: Bereits 2015 wurde das Projekt „Urbane Mitte“ geplant. Direkt bei der nächstgelegenen S-Bahnstation zum Park sollen sieben Hochhäuser mit einer Höhe von 25 bis 90 Metern entstehen. Die Gebäude sollen ausschließlich kommerziell genutzt werden. Hauptkritikpunkt ist, dass sie mit ihrer Höhe die Frischluftschneise vom Berliner Tiergarten in den Park unterbrechen werden. Insgesamt 14 Initiativen schlossen sich zusammen und protestierten gegen das Vorhaben. 2024 zog der Berliner Senat dann das Projekt an sich, mit der Begründung, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg den Bau verzögert hätte – die Pläne werden also weitestgehend umgesetzt. Der Kampf um den Park und für die Interessen von gemeinschaftlichen Grünflächen ist also selbst bei diesem partizipativen Vorzeigeprojekt nicht ohne Abstriche gewonnen und wird auch in Zukunft die Energie von Initiativen benötigen.
Quellen:
- https://entwicklungsstadt.de/hochhaeuser-sollen-kommen-senat-zieht-projekt-urbane-mitte-an-sich/
- https://gleisdreieck-retten.de/start-2/
- https://www.aktionsgemeinschaft-gleisdreieck.de/
- https://www.parkamgleisdreieck.de/
- https://gruen-berlin.de/projekte/parks/park-am-gleisdreieck
- Der Park am Gleisdreieck Idee, Geschichte, Entwicklung und Umsetzung: https://gruen-berlin.de/fileadmin/user_upload/Downloads/park-am-gleisdreieck/gleisdreieck_der-park-am-gleisdreieck_broschuere.pdf
- https://www.baunetz-architekten.de/atelier-loidl/2368095/projekt/3488169
- https://www.bi-westtangente.de/
- https://gleisdreieck-blog.de/