Wie sich die Seestadt das Grün zurückholt

Der folgende Text ist ein Gastbeitrag der Initiative SeeStadtgrün, die sich für die Begrünung der Seestadt Aspern einsetzt. Mehr Infos zur Initiative findest du hier.

Als im Jahr 2023 mehrere Plätze in der Seestadt kurz nach Fertigstellung aufwändig entsiegelt wurden, wurde offensichtlich, dass in der Planung wohl etwas schief gelaufen ist. Die Seestadt kann dabei exemplarisch für viele Stadtentwicklungsgebiete stehen, bei denen man sich fragt, ob neue Stadtviertel so versiegelt gestaltet werden müssen und wie Alternativen aussehen könnten. Im folgenden Bericht soll es um den Grünraum in der Seestadt gehen und darum, wie Bewohner:innen sich mit Erfolg dafür einsetzen, dass sich etwas bewegt.

Der Grünraum im Masterplan

Als eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Wiens ist die Seestadt darauf ausgelegt, 25.000 Menschen ein neues Zuhause zu bieten. Sie ist als nachhaltiger Stadtteil angelegt, welcher den Anspruch hat, die Flächenverteilung neu zu denken, um Fußgänger:innen und Grünflächen mehr Raum zu geben. Die ersten Pläne der Seestadt skizzieren von Grün gesäumte Straßen, in denen Fußgänger:innen flanieren und Kinder spielen. Die “Partitur des öffentlichen Raums”, eines der wichtigsten Planungsdokumente, spricht von der Ringstraße als Erholungsraum. In der tatsächlichen Umsetzung aber fehlt das Grün, welches die Visualisierungen so lebenswert gemacht hat. Im ersten realisierten Abschnitt wurden viele Grünflächen der Renderings zu verdichteten Schotterflächen, die keinen Bodenbewuchs von Pflanzen zulassen und in denen Bäume nur schlecht wachsen. Diese haben das Problem, dass sie kaum Wasser versickern lassen, sich aufheizen und eine Feinstaubquelle darstellen. Dadurch wirken die Straßenräume wenig einladend, grau und leer.  Die parallel zur Bebauung stattfindende Bewohner:innenbefragung der neuen Bewohner:innen durch die FH Wien zeigte 2019, dass sich viele Seestädter:innen zukünftig mehr Grün wünschen.

Das Bild zeigt eine Straße in der Seestadt mit sehr breiten Gehsteigen und Schotterflächen. Die Maße sind von links nach rechts wie folgt angegeben: Gehsteig 4m, Schotter/Staub 5m, Fußgängerstraße 5m, Gehsteig 5,5m, Gehsteig im Park 5m
Die Flächenverteilung zeigt: Asphalt und Staubflächen überwiegen gegenüber Grünflächen.

SeeStadtgrün

Vor drei Jahren hat sich der Verein SeeStadtgrün gegründet, um diesem Wunsch eine Stimme zu geben. Der Verein entwickelte sich aus dem Forschungsprojekt “Essbare Seestadt”, an dem auch die BOKU (Universität für Bodenkultur) beteiligt war. Die in dem Verein organisierten Bewohner:innen beschlossen, beim Staubflächenproblem in Vorleistung zu treten, um aufzuzeigen, dass eine andere Ausgestaltung möglich ist.

Zwar bietet die Stadt Wien mit der Initiative “Gartln ums Eck” [1] Wiener:innen die Möglichkeit einzelne Baumscheiben zu begrünen, die von SeeStadtgrün begrünten Flächen übersteigen diesen Rahmen aber deutlich. So wurden große Staubflächen um den Hannah-Arendt Park in Beete umgewandelt. Einige davon sind von der Stadt als Gestaltungsflächen [2] ausgewiesen worden. Die Pflanzen sowie die Erde wurden von den Bewohner:innen gespendet, zum Gießen tragen sich Bewohner:innen abwechselnd in Gießschichten ein. Natürlich kann eine solche Fläche nicht mehr mit Gießkannen bewässert werden, sodass ein Gießfahrrad mit einem 200l Wassertank entwickelt wurde, welcher am nächsten Hydranten befüllt wird. Das Konzept funktioniert, Bewohner:innen erweiterten es auf nahegelegene Baumscheiben. Das Herzstück der begrünten Flächen bildet die Seestadt Lounge – ein konsumfreier, von Beeten eingerahmter Raum am Hannah Arendt Platz. Dort findet auch das Gießrad sein Zuhause.

Mit der Umgestaltung durch die Bewohner:innen wurde aufgezeigt, dass ein Nachbessern bei den Staubflächen sehr gut möglich ist. Doch es wirft auch die Frage nach der Zuständigkeit für dieses Problem auf. Denn die Pflege dieser Grünoase kostet den Verein nicht nur Arbeitsstunden und Material, für die Seestadt Lounge muss auch eine Nutzungsgebühr an die Stadt Wien entrichtet werden. Nicht nur, dass SeeStadtgrün die Arbeit der Stadt macht, der Verein muss sogar dafür bezahlen, die “Gestaltungsflächen für die Bevölkerung” zu gestalten.

Unter einer Holzlaube stehen Holzsessel im Kreis, umgeben von viel Grün
Die vom Verein umgestaltete Fläche mit selbstgebauten Holzmöbeln und viel Grün.

Petition “Mehr Natur in die Seestadt”

Eine Petition von SeeStadtgrün wurde im Herbst 2023 zum Stimmungstest und traf den Nerv des Stadtteils. Bewusst wurde als Anliegen der Petition das intuitiv verständliche Problem der Staubflächen formuliert und die Forderung, dass diese Flächen ausgestaltet werden sollen. Um das Problem zu verdeutlichen, wurde auf Basis der offenen Daten der Stadt Wien [3] eine Karte erstellt, welche die schiere Menge von 8000m² an Staubflächen im Straßenraum zeigt. Hier wird auch deutlich, dass die größten Staubflächen entlang der Maria-Tusch Straße liegen, welche im Masterplan als eine belebte, einladende Straße vorgesehen ist. Die Petition erreichte innerhalb von einer Woche 1000 Unterschriften und zeigte, dass die Begrünung ein verbreitetes Anliegen ist. Beim Sammeln der Unterschriften war das positive Feedback der Unterstützer:innen sehr motivierend, bestärkte es doch die Gewissheit, für viele zu sprechen. In Gesprächen zeigte sich, dass vielen Seestädter:innen gar nicht bewusst war, dass die Begrünung am Hannah Arendt Platz auf ehrenamtlicher Basis und eigenen Kosten und nicht von der Stadt erfolgte.

Im Luftbild der Seestadt sind Staubflächen ohne Begrünung, durch Bewohner:innen begrünte Staubflächen und durch die Stadt begrünte Straßenflächen eingezeichnet. Im Pionierquartier nehmen die Staubflächen ohne Begrünung den meisten Platz ein.
Straßenbegleitgrün im Pionierquartier der Seestadt

Am 12.1.2024 wurde die Petition im Petitionsausschuss im Rathaus vorgestellt und ist mit Interesse aufgenommen worden. Ganz gleich wie letzten Endes die Empfehlung des Ausschusses ausfallen wird: Die Problematik hat durch die Petition und die Presseartikel deutlich an Sichtbarkeit gewonnen. Mehrere Parteien haben das Thema aufgegriffen und mit Anträgen und der Beantragung einer Bürger:innenversammlung in die Politik getragen. Neben dem Politischen hat die Nachbarschaft von der Initiative profitiert. Es haben sich durch die Gründung des Vereins Menschen in der Seestadt gefunden, die nicht passiv auf die Lösung warten wollten, sodass nun auf 600m² in Beete umgewandelte Staubflächen geblickt werden kann, welche unabhängig von der Bereitschaft der Stadt bestehen bleiben.

Wenn du in der Seestadt wohnst und ebenfalls an der Gestaltung deines Wohnumfeldes mitwirken willst, melde dich hier!

Formen des Aktivismus

Folgende Aktionsformen wurden vom Verein SeestadtGrün verwendet:

  • Petition nach Wiener Petitionsrecht
  • Öffentlichkeitsarbeit (Plakate)  und mediale Sichtbarkeit (ORF, Zeitungen)

Quellen

[1] https://www.garteln-in-wien.at/garteln-ums-eck/

[2] https://nachhaltigwirtschaften.at/resources/sdz_pdf/schriftenreihe-2022-3-essbare-seestadt.pdf S.44

[3] https://www.wien.gv.at/stadtentwicklung/stadtvermessung/geodaten/fmzk/produkt.html

Bilder und Grafiken von SeestadtGrün

Universität Wien / FH Wien: Besiedlungsmonitoring Aspern (2019) 

Flächenmehrzweckkarte der Stadt Wien

Ergebnisse Forschungsprojekt ‘Essbare Seestadt

Partitur des öffentlichen Raums

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