St. Marx: Wie sich der Petitionsausschuss hinter der Wien Holding versteckt

Die Nachbarschaftsinitiative „St. Marx für Alle“ zeigt grobe Mängel bei der Partizipation in Wien auf. Ihre Petition laut Wiener Petitionsgesetz richtet sich gegen den Verlust der Freifläche in Neu Marx, auf der die Wiener Stadtregierung eine neue Konzerthalle bauen möchte. Der Petitionsausschuss erklärt sich jedoch für unzuständig, obwohl sich die Liegenschaft über die Strukturen der Wien Holding im Besitz der Stadt Wien befindet.

Megahalle statt Mitbestimmung

Der Bau der sogenannten “WH-Arena” verzögert sich und verschlingt hunderte Millionen, wie wir unten im Detail schildern. Wie auch der berechtigte Wunsch nach Bürger:innenbeteiligung und dem Verzicht auf den Megabau von der Stadtregierung torpediert wird, indem eine Petition mit fragwürdiger Argumentation abgelehnt wird, schildert die WirMachenWien-Initiative „St. Marx für Alle“ in ihrer Presseaussendung vom 21.2.2024, die wir hier wiedergeben:

Der Zielstandort des Bauvorhabens, die Freifläche in St. Marx, ist Heimat zahlreicher selbstorganisierter Projekte, darunter ein selbstgebauter Skatepark, ein Basketballplatz und diverse Gemeinschaftsgärten. Bei der Stadt Wien wurde im Oktober 2023 eine Petition gegen den Bau der Halle und für den Erhalt der Freifläche eingebracht. Die Bearbeitung wurde jetzt jedoch vom Petitionsausschuss abgelehnt. Die Begründung: Die Stadt Wien sieht sich für die Liegenschaft nicht zuständig, auch gäbe es innerhalb der Gemeinde bzw. des Landes kein zuständiges Organ, welches die Forderungen der eingebrachten Petition berücksichtigen könnte. Obwohl sich die Liegenschaft über die Strukturen der Wien Holding im Besitz der Stadt Wien befindet.

Garten

Stadt Wien besitzt die Wien Holding

Die Stadt Wien sei nicht für die Verwaltung der betroffenen Grundstücke zuständig, so schreibt also der Petitionsausschuss. Der Stadtrechnungshof Wien hielt jedoch bereits im Dezember 2020 fest, dass sich die entsprechenden Flächen über die Fleischmarkt St. Marx Liegenschaftsentwicklung GmbH, einer Tochter der Wien Holding GmbH, im Eigentum der Stadt Wien befinden. Die Entwicklung der Fläche liegt bei der WSE Wiener Standortentwicklung GmbH, die ebenfalls eine hundertprozentige Tochter der Wien Holding GmbH ist. Die Wien Holding GmbH befindet sich wiederum zu 99,9% im Besitz der Stadt Wien.

Die Position von „St Marx für Alle“ dazu ist eindeutig, wie auch Initiativen-Mitglied Anna betont: „Es ist inakzeptabel, dass sich die Stadtregierung hinter der Wien Holding verstecken möchte. Petitionen sind eines der wenigen niederschwelligen Instrumente zur politischen Mitgestaltung. Dass hier dieses wichtige demokratiepolitische Werkzeug nicht greift, zeigt wieder, wie egal der Stadt Wien partizipative Stadtentwicklung ist und dass bei Großbauprojekten das Mitspracherecht der Bürger:innen sowieso nicht erwünscht ist.

Auch medial präsentieren sich Bürgermeister Ludwig und Stadtrat Hanke regelmäßig mit dem Bauprojekt der WH-Arena. Die Stadt zieht sich also mit bürokratischen Mitteln aus der Affäre und entscheidet sich damit einmal mehr dafür, die Forderungen und Interessen ihrer Bewohner:innen nicht ernst zu nehmen.

Neu Marx

Das gesamte Gelände von Neu Marx, Freifläche mit dem Street Art Piece von Golif (Bild: Stadt Wien)

Die Initiative “St. Marx für alle”

Anna beschreibt die Ziele der Initiative so: „Als Initiative fordern wir die Mitbestimmung der Anwohner:innen und Betroffenen vor Ortbei der zukünftigen Flächennutzung, außerdem das Ende der Befristung der Pachtverträge der Zwischennutzungsprojekte und mehr Platz für ähnliche Initiativen. Gleichzeitig könnte mit der Öffnung der Fläche auch mehr Grünraum entstehen. Ein Naherholungsgebiet würde dem ohnehin stark verbauten dritten Bezirk guttun und könnte klimatechnisch Leben retten. Flächen wie das Tempelhofer Feld in Berlin sind ein Vorbild, für eine mögliche Freizeitfläche in St. Marx.“

Die Mitglieder von „St. Marx für Alle“ sind sich einig: Sich unter Vorschub eines städtisch
kontrollierten Firmenkonstruktes aus der politischen Verantwortung zu ziehen, ist nicht
akzeptabel. Die Stadt plant ihren eigenen Ausverkauf mittels eines millionenschweren
Bauprojektes, für das etliche Steuermillionen zugunsten internationaler Großkonzerne
verschleudert werden und übergeht dabei die Interessen der Bewohner:innen, die hier einen belebten Ort in ihrer Nachbarschaft geschaffen haben. Die Stadt Wien hätte jetzt die Möglichkeit, dieses Vorhaben noch einmal zu überdenken, sich mit Nachbarinnen und Nutzerinnen an einen Tisch zu setzen und Vereinbarungen zu treffen. Durch die Verhinderung der Partizipation der Bürger:innen wird der Protest gegen die WH-Arena nicht aufhören, sondern nur noch lauter werden.

Chronologie des Scheiterns

Im Jahr 2019 wurde der Bau der Halle angekündigt, als das Ergebnis der Standortanalyse von Bürgermeister Michael Ludwig, Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke und Wien Holding-Chef Kurt Gollowitzer präsentiert wurde. Großveranstaltungen in den Bereichen Konzert, Show, Entertainment und Sport für 20.000 Menschen seien dort vorgesehen. Diese Ausmaße lassen schon die entstehenden Verkehrs- und Lärmbelästigungen erahnen.

Rendering

Der Entwurf für das Millionenbauvorhaben steht seit Ende 2020 fest: Das Wiener Architektenteam Christian Kronaus, Peter Mitterer und Reinhardt Gallister setzte sich beim EU-weiten Realisierungswettbewerb durch (Bild oben: Rendering von expressiv.at). Baubeginn sollte im Jahr 2021 sein , einer Fertigstellung bis 2024 war geplant und ein Kostenrahmen von bis zu 250 Millionen Euro angesetzt. Der Stadtrechnungshof verweist allerdings laut Standard auf ein “Konzept zum Kostenrahmen” der begleitenden Kontrolle des Projekts, wo die Gesamtkosten mit 742 Millionen Euro ausgewiesen seien, mit einer Schwankungsbreite von plus/minus 30 Prozent.

Im Oktober 2023 wurde dann die Zuschlagsentscheidung der Wien Holding für einen privaten Partner für Investition, Bau und Betrieb der Halle vom Verwaltungsgericht aufgehoben. Die OVG Bristol Limited mit Sitz in London wäre als Konzernunternehmen der Oak View Group aus den USA, die als welt­weit größter Developer von Entertainment- und Sport-Venues gilt, zum Zug gekommen. Die Wien Holding beabsichtigte, das Verfahren zu widerrufen und eine neue Ausschreibung vorzubereiten. Fertigstellung frühestens 2029.

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