Im Frühling 2020 begann eine Erfolgsgeschichte, die vom “Platz für Wien” Team als wilde Fahrt bezeichnet wurde: Mal steil bergauf, mal locker bergab, mal mit Rückenwind, zumeist mit Gegenwind, manchmal direkt und manchmal mit Umwegen. Dabei hat die Bürger:innen-Initiative ihr größtes Ziel erreicht. Im Wahlkampf 2020 wurden so viele Unterschriften für ihre Forderungen gesammelt, wie für ein Volksbegehren nötig wären: über 57.000 und damit 5% der Wahlberechtigtenzahl. Die Umsetzung scheiterte an der Ignoranz der SPÖ Wien.
Der Beginn lag lange vor dem Start
Einer der Gründe, warum “Platz für Wien” sich aus dem scheinbaren Nichts sehr rasch zur wichtigsten Stimme der Verkehrswende in Wien entwickelte, lag an der gründlichen Vorbereitung. Bereits im August 2019 hatte ein kleines Team damit begonnen, die verkehrspolitische Initiativenlandschaft in Wien zu erkunden, Vorgespräche zu führen, Zielsetzungen zu überlegen und einen großen Kick-Off-Workshop im Spätherbst vorzubereiten. Dadurch war die Basis für die ersten Schritte breit genug, um sich selbst zielstrebig zu organisieren. Denn Organizing ist eine unverzichtbare Grundlage für funktionierenden Aktivismus. Das große Vorbild für die Kampagne war der Erfolg des Berliner Radentscheids, der 2016 in etwa drei Wochen über 100.000 Unterschriften sammeln und dadurch ein Mobilitätsgesetz im Berliner Senat erwirken konnte.
Aus dieser Idee, einen Radentscheid für Wien herbeizuführen und den Wahlkampf 2020 dafür als Phase der erhöhten Aufmerksamkeit und politischer Weichenstellungen zu nutzen, wurde bald die Erkenntnis, dass Radverkehr nicht zum isolierten Thema der Kampagne werden kann. Eine umfassende klimagerechte Umgestaltung der Stadt Wien muss es werden! Mehr Platz für Baum, Fuß und Rad wurde das Motto, das sich im Logo wiederfand und zum Namen der Initiative wurde: Platz für Wien. Weit über hundert engagierte Menschen schlossen sich im Laufe des Wahljahres dem Kampagnenteam an und setzten all ihre Energie für die Ziele ein.
Die erste große Aktion von “Platz für Wien” bespielte die große Kreuzung vor dem Grauen Haus an der Zweierlinie.
Die bunte Inititiative setzt Themen und sammelt Unterschriften
Der Beitrag der Initiative zur dringend nötigen klimagerechten Verkehrswende konnte sich sehen lassen: 18 sehr gut begründete Forderungen wurden entwickelt und an die Politik herangetragen. Dafür wurden über 57.000 Unterstützer:innen geworben, die durch ihre Unterschrift mitgeteilt haben, wie wichtig sie unsere gemeinsamen Anliegen finden. Der Countdown der Unterschriftenzahl ließ an Spannung nichts vermissen: Am 13. Oktober 2022 wurde das Unterschriftenziel erreicht, nur wenige Tage vor der Wienwahl und sechs Monate nach dem Start der Kampagne, der im April 2020 und damit mitten im ersten Corona-Lockdown und den gesellschaftlichen Verwerfungen der Pandemiezeit stattfinden musste.
Die parteipolitischen Reaktionen stimmten durchaus zuversichtlich: Neos und Grüne unterstützen die Forderungen vollinhaltlich, die SPÖ Wien übernahm einen Teil der Forderungen in ihr Wahlprogramm und später ins Regierungsprogramm, progressive Teile der SPÖ Wien und zahlreiche Bezirksvorsteher:innen unterstützten sogar alle Forderungen. Die rasche Umsetzung der geforderten Maßnahmen ist damit ein Auftrag an die Stadtregierung. Bei der SPÖ Wien und ihrem Juniorpartner NEOS läge die Verantwortung, die Stadt flächengerecht und sicher für alle Verkehrsteilnehmer:innen zu gestalten.
Verteilung der Bezirksvorsteher:innen, die sich 2020 für die PlatzFürWien-Forderungen ausgesprochen hatte. (Quelle: PlatzFürWien)
Social Media, Sprecher:innen und Aktionen als Erfolgsfaktor
Die Social Media Kampagne von “Platz Für Wien” stellte sich nicht nur als einzige Möglichkeit der Präsenz in Zeiten des Covid-Lockdowns heraus, sie wurde von einem gänzlich ehrenamtlichen Team als eine herausragenden Aktivierungskampagne mit täglichen Postings im Wahlkampf gestaltet. Dahinter standen felxible straetgische udn taktische Überlegungen, nach denen sich die Inhalte und Adressat:innen der Botschaften richteten. Über 20.000 Follower versammelte “Platz für Wien” auf Facebook, Instagram und Twitter.
Auf Social Media, bei Aktionen und in der klassichen Presselandschaft spielten die fünf Sprecher:innen von “Platz für Wien” einen zentrale Rolle, allen voran Barbara Laa und Ulrich Leth von der TU Wien. Der faktenorientierte Stil der typischen “Platz für Wien”-Argumentation traf sich in den Statements mit hoher Emotionalität. Diese trat auch bei den Aktionen der Kampagne in Erscheinung, die gezielt große Schauplätze für inhaltlich radikale Forderungen wählten, aber in ihrem Auftreten grundsätzlich freundlich und farbenfroh waren. Einen Rückblick auf den Ablauf von “Platz für Wien” im Wahljahr 2020 findet ihr hier.
Demonstration für sichere Radwege auf der Triesterstraße: “Platz für Wien” Demonstrant:innen bilden selbst einen geschützten Radstreifen.
Der Petitionsausschuss wird zur Farce
Im Juli 2021 kamen die Forderungen von “Platz für Wien” auch formell vor den Petitionsausschuss des Wiener Gemeinderats. Immerhin stellte die Unterschriftenzahl einen überwältigenden Rekord dar. Erstmals wurden alle Bezirksvorsteher:innen zu einer offiziellen Stellungnahmen durch den Petitionsausschuss der Stadt Wien aufgefordert, ebenso die zuständigen Stadträt:innen und der Bürgermeister. Diese Stellungnahmen zeichneten jedoch ein erschütterndes Bild, das das partizipativ gedachte Mittel des Wiener Petitionsgesetzes als Farce entlarvte, wie “Platz für Wien” hier beschreibt. Einige SP- Bezirksvorsteher:innen schrieben ihre Stellungnahmen voneinenader ab, SP-Stadträtin Sima hielt sich nicht an Fristen und Stadtrat Czernohorszky schweifte vom Thema völlig ab. Nur die Stellungnahmen der Bezirksvorsteher:innen Halbwidl, Reiter, Fabisch, Prokop und Nossek stimmten das “Platz für Wien”-Team hoffnungsvoll, dass sich etwas bewegen wird.
Die Übergabe des Feuers
Nach etwas über zwei Jahren aktivistischer und verkehrspolitischer Arbeit war im Frühjahr 2022 die Zeit für das “Platz für Wien”-Team gekommen, die Kampagne zu beenden und das Vertreten der Forderungen an andere zu übergeben: Radlobby Wien und Geht-doch Wien. Beide NGOs haben schon bei der Gründung von “Platz für Wien” an vorderster Stelle mitgewirkt. In ihrem Abschlussstatement schrieb das “Platz für Wien”-Team: “Wir haben viel gelernt und sind davon überzeugt, dass auch andere von und mit uns lernen konnten. Während sich das Straßenbild Wiens in den letzten zwei Jahren kaum zum Guten verändert hat, haben sich die Vorstellungen und Anforderungen der Wiener:innen markant gewandelt. Der PlatzFürWien-Spirit ist erwacht!”
Und dieser “PlatzFürWien-Spirit” führte schlussendlich dazu, dass die Plattform “Wir machen Wien” eine Förderung durch den Digifonds der Arbeiterkammer Wien fand und im Oktober 2023 online gehen konnte. Genau drei Jahre nachdem “Platz für Wien” sein Unterschriftenziel erreicht hatte.
Was trug zum Erfolg bei?
- Die Initiative positionierte sich in der Mitte der Gesellschaft und fand breite gesellschaftliche Unterstützung
- Mediale und parteipolitische Aufmerksamkeit im Wahljahr
- Unterstützung von prominenten Menschen
- Mediengerechte Aufbereitung von bunten Protestaktionen
- Intensive Öffentlichkeitsarbeit über Social Media und klassiche Pressearbeit
- Hochmotivierte und gut organisierte Unterschriftensammler:innen im Dauereinsatz
Welche Mittel wurden von der Initiative eingesetzt?
- Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, Social Media, Informationsmaterial)
- Protestdemonstrationen mit Eventcharakter
- Organizing
- Bündnisse
- Lobbying, Gespräche mit Entscheider:innen
- Unterschriften und Petitionen
Quellen:
Alle Aktionen und Artikel von “Platz für Wien” sind hier im Archiv nachzulesen.
Alle Fotos: Peter Provaznik/Die Radvokat:innen.