Die Ergebnisse der Sitzung des Petitionsausschusses am 6. Dezember 2024 gaben erneut Anlass, die Wirkung von Petitionen an den Wiener Gemeinderat zu hinterfragen. Der Eindruck, dass Petitionen im dafür bestimmten Ausschuss nicht zu ausreichend klaren Empfehlungen im Sinne der Petitionseinbringer:innen führen, ist nicht neu. Eklatantes Beispiel war die Farce rund um die Forderungern von “Platz für Wien” im Jahr 2020 (Artikel dazu). Die Empfehlungen vom heurigen Dezember führten dazu, dass wir einen offenen Brief an Gemeinderat und Presse zur problematischen Umsetzung des Petitionsrechts in Wien im Kontext des Wiener „Demokratiejahres” verfassten.
Der Offene Brief im Original
Sehr geehrte Frau Vorsitzende Mautz-Leopold!
Sehr geehrte Mitglieder des Petitionsausschusses im Wiener Gemeinderat!
Sehr geehrter Herr Demokratie-Stadtrat Czernohorszky!
Wir beziehen uns auf die Presseaussendung (LINK) im Anschluss an die Sitzung des Petitionsausschusses am 6. Dezember 2024 und die darin publizierten Empfehlungen des Ausschusses. Unter den behandelten Petitionen befanden sich mehrere Anliegen von Initiativen, die auf der #WirMachenWien Plattform versammelt sind oder von diesen inhaltlich unterstützt werden.
● „Gürtel: Radspur statt Autospur!“ (Gürtel Liebe)
● „Mozartplatz wird autofrei“ (Geht-Doch.Wien, Raum Fair Teilen)
● „Phorusplatz jetzt! Autofreier Schulvorplatz für die VS Phorusgasse“ (Raum Fair Teilen)
● „Lebenswerte Zentagasse: Verkehrsberuhigung – Begrünung – Lebensqualität“ (Zentagarden)
● „Währinger Gürtel: Grünspur statt Parkspur“
● „Lebenswerte Hasnerstraße“
● „Radweg für die Mauerbachstraße im 14.!“
Die Ergebnisse dieser Ausschusssitzung zeigen deutlich, dass die Bemühungen der engagierten Bürger:innen um Beteiligung wiederholt an der Unverbindlichkeit der resultierenden „Empfehlungen“ scheitern. Obwohl die Anliegen in den Petitionen klar formuliert sind und auf Änderungen des Status Quo im Sinne von Klimaschutz, Klimaresilienz, Verkehrsberuhigung und Lebensqualität abzielen, manifestieren die Empfehlungen des Ausschusses ein „Weiter so“. Das zeigt die Textanalyse: In den 14 Empfehlungen kommt elf Mal das Wort „weiterhin“ vor. Die wenigsten Empfehlungen enthalten konkrete Vorschläge, stattdessen soll zumeist „beobachtet“, „evaluiert“ oder „in Evidenz gehalten“ werden. Dabei werden oft andere Bemühungen der zuständigen Stadträt:innen und Bezirksvorsteher:innen ins Treffen geführt, als ob diese Aktivitäten dazu geeignet wären, die Petitionsanliegen zu erfüllen. Das sind sie aber leider nicht.
Anliegen wurden ignoriert
So regte zum Beispiel die Petition „Lebenswerte Zentagasse“ folgende konkrete Maßnahmen an: 1) Reduktion des Durchzugsverkehrs, 2) Umleitung des Busverkehrs in höherrangige Straßen, 3) Maßnahmen zur Geschwindigkeitsreduktion, 4) Begrünung der Zentagasse von der Margaretenstraße bis zum Zentaplatz & 5) Anbindung an das Radnetz von der Wiedner Hauptstraße bis zur Siebenbrunnengasse. Kein einziger dieser Vorschläge fand in der Empfehlung an Bezirksvorsteherin Silvia Jankovic Beachtung. Stattdessen wurde sie aufgefordert, „die Zentagasse weiterhin aktiv zu beobachten und in Evidenz zu behalten“.
Demonstration von Zentagarden und Radlobby am Park(ing) Day 20.9.2024
Die Petition „Gürtel: Radspur statt Autospur!“ regte die Umwandlung einer Autospur zum Radweg an – dafür wurden mehr als doppelt so viele Unterschriften gesammelt wie für die Behandlung der Petition benötigt wäre. Die Empfehlung ignoriert den Vorschlag und richtet an Stadträtin Ulli Sima lediglich die Bitte, „weiterhin an einer Verbesserung der Radsituation am Gürtel zu arbeiten“. Ebenso erging es der Petition „Mozartplatz wird autofrei“: Der Vorschlag, den Platz für den Autoverkehr zu sperren, wurde uminterpretiert und die Empfehlung ausgesprochen, „die Attraktivierung des Mozartplatzes fortzuführen sowie die Aufenthaltsqualität vor Ort zu erhöhen“. Lediglich bei der Petition „Phorusplatz jetzt!“ wurde der Vorschlag aufgegriffen und die Empfehlung ausgesprochen, „weiterhin die Möglichkeit der Einrichtung eines autofreien Schulvorplatzes zu prüfen“.
Wo bleiben Klimaziele und Demokratie?
Alle genannten Initiativen setzen sich konstruktiv und entlang der Zielsetzungen z.B. des Stadtentwicklungsplans STEP 2025 und der Klimaziele der Stadt Wien dafür ein, unsere Stadt mitzugestalten. Der Petitionsausschuss im Gemeinderat – dem Vertretungskörper der Wiener Bevölkerung – sollte dabei als starke Kraft zur Seite stehen, damit Verbesserungen auch wirklich umgesetzt werden. Das Gegenteil ist der Fall. Alle 14 in der letzten Sitzung behandelten Petitionen wurden abgeschlossen. Das bedeutet, dass keine weitere Behandlung im Gemeinderat stattfindet – egal ob die angeregten Empfehlungen in der Praxis umgesetzt werden oder nicht. Die Initiativen stehen somit weiterhin alleine da.
Diese Vorgangsweise beobachten wir bereits die letzten Jahre, wie wir schon in einem Gespräch mit allen Parteienvertreter:innen im Petitionsausschuss im April 2024 dargelegt haben. Lokale Initiativen stehen dadurch vor der Wahl, entweder dem Petitionsrecht resignativ den Rücken zu kehren oder sich gänzlich dem Aktivismus im Sinne einer Fundamental-opposition zuzuwenden. Das erschütterte Vertrauen in partizipative Rechte ist das Gegenteil der Zielsetzungen von „Demokratiejahr“ und Demokratiestrategie der Stadt Wien, European Capital of Democracy 2025.
Wir sehen dringenden Bedarf, die Beschaffenheit des Petitionsrechts, die Qualität der Empfehlungen und die Struktur seiner Gremien im Zuge der Demokratiestrategie, die ja zur Zeit erarbeitet und im Frühjahr 2025 im Gemeinderat beschlossen werden soll, zu überdenken und damit die Wirksamkeit des wichtigen Mittels Petition zu verbessern. Sonst wird Partizipation zur Frustration.
Mit demokratischen Grüßen,
die Plattform #WirMachenWien gemeinsam mit den Initiativen Geht-Doch.Wien, Gürtel Liebe, Raum Fair Teilen, Zentagarden
Wien, 16.12.2024
Vertreter von Gürtel Liebe im Ausschuss am 8.11.2024 (Screenshot aus Video von GL)
Material
- Presseaussendung (PA) der Stadt Wien mit dem Empfehlungen des Ausschusses, 6.12.2024
- PA der Stadt Wien zu Ausschussitzung am 15.11.2024 (mit Gürtelspur-Begrünung)
- PA der Stadt Wien zur Ausschussitzung am 14.11.2024 (mit Zentagasse, Hasnerstraße, Phorusgasse)
- PA der Stadt Wien zu Ausschussitzung am 8.11.2024 (mit Gürtelsradweg, Mozartplatz, Mauerbachstraße)