David gegen Goliath in der Stopfenreuther Au
10. Dezember 1984. In der Stopfenreuther Au nahe bei Hainburg rollen die Baufahrzeuge an. Doch sie kommen nicht weit. Seit zwei Tagen verschanzen sich hier Umweltschützer:innen. Sie schlafen in Zelten und haben Barrikaden errichtet, um die Rodungsarbeiten aufzuhalten und den Bau des letzten Donaukraftwerkes zu verhindern. Sie kommen aus allen politischen Lagern. Ihre Gemeinsamkeit ist der Einsatz für die Rettung der letzten freien Fließstrecke der Donau in Mitteleuropa. Sie werden hier in den nächsten Tagen Ereignisse lostreten, die die politische Landschaft in Österreich für immer verändern sollten.
Doch wie kam es zur Besetzung “von Hainburg”?

Das letzte Donaukraftwerk
Bereits seit den 50er Jahren stand die Idee im Raum, in der Stopfenreuther Au in der Nähe des Ortes Hainburg ein Donaukraftwerk zu bauen. 1983 wurde das Projekt bei der österreichischen Wasserrechtsbehörde eingereicht. Ein Jahr später sollte die Genehmigung in zweiter Instanz erfolgen. Das Donaukraftwerk Hainburg würde dadurch das größte jener Kraftwerke, die bereits die Donau aufstauten. Mit einer 16 Meter hohen Staumauer und nach der Verlegung des Flusslaufes um 2.5km hätte es die letzte freie Fließstrecke der Donau in Österreich zerstören sollen. Dagegen formierte sich bald breiter Widerstand.

Die Befürworter:innen des Kraftwerkes kamen aus den drei Parteien SPÖ, FPÖ und ÖVP, allen voran aus der SPÖ, die mit Fred Sinowatz den Kanzler stellte. Allerdings war sich jede der Parteien intern uneinig in ihrer Unterstützung des Projektes. In der SPÖ rebellierten vor allem die Jungen. Aus jeder der drei Parteien sollten sich später Mitglieder offen auf die Seite der Kraftwerksgegner:innen stellen. Neben den drei großen Parteien standen die Sozialpartner Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer und Gewerkschaften hinter dem Bau. Sie erhofften sich daraus Arbeitsplätze und fürchteten um die Wirtschaft, sollte das Kraftwerk nicht gebaut werden.
Ein Bündnis zur Rettung der Au
Auf der anderen Seite sollte bald ein breites Bündnis zahlreicher neuer Umweltschutzorganisationen und Bürger:innen-Initiativen entstehen. Und das, obwohl wir uns in einer Zeit befanden, in der die Umweltschutzbewegung in Österreich Neuland war. Die Grünen existierten noch nicht. Global 2000 und Greenpeace hatten sich gerade erst gegründet.
Im September 1983 startete der WWF seine Kampagne “Rettet die Au” zur Verhinderung des Donaukraftwerkes. Bald darauf entstand die “Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg”. Ihr gehörten zahlreiche Gruppen an, unter anderem Global 2000, Greenpeace, WWF, Österreichischer Naturschutzbund, das Alternativreferat der österreichischen Hochschüler*innenschaft und die Bürgerinnen-Initiativen „BI AU-weh Fischamend“, „BI Hainburg“, „BI Marchfeld zur Rettung der Auen“, „BI Rettet das Kamptal“. Die Aktionsgemeinschaft brachte den Widerstand gegen das Kraftwerk ins Rollen. Sie informierte die Bevölkerung über den Bau, veranstaltete Pressekonferenzen, Vorträge und Podiumsdiskussionen, schrieb Briefe an Politiker:innen und sammelte Unterschriften gegen das Kraftwerk.
1984 solidarisieren sich Kunstschaffende und Politiker:innen mit den Umweltschützer:innen, auf der sogenannten “Pressekonferenz der Tiere”. Othmar Karas, damals Obmann der Jungen Volkspartei, heute Vizepräsident des europäischen Parlaments, trat verkleidet als Kormoran auf, Jörg Mauthe, ÖVP-Stadtrat, als Schwarzstorch, Hubert Gorbach vom Ring Freiheitlicher Jugend (später zwischen 2003 und 2007 Vizekanzler und Verkehrsminister von Österreich) im Blaukehlchen-Kostüm und der spätere (von 2007 bis 2008) SP-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, damals Juso-Chef, unverkleidet. Gemeinsam mit bekannten Größen der Kulturbranche, wie dem Schriftsteller Peter Turrini, sprachen sie sich öffentlich für den Schutz der Natur in der Au aus – und verstießen damit gegen die Parteilinie.

Umweltschützer:innen auf den Barrikaden
Gegen Ende November 1984 erteilte der niederösterreichische Landestrat Ernest Brezovzky in zweiter Instanz die naturschutzrechtliche Genehmigung für den Kraftwerksbau und leitete damit die letzte Phase des Protestes ein. Aus 6 Punkten zogen am 8. Dezember 1984 5.000 Menschen in Form eines Sternmarsches in die Stopfenreuther Au. Mehrere hundert Menschen blieben dort, errichteten Barrikaden auf den Zufahrtsstraßen, Schlaflager aus Zelten und besetzten die Au. Als zwei Tage später die ersten Baufahrzeuge anrollten, wurden sie von den Aktivist:innen aufgehalten.

Mit jedem Zusammenstoß zwischen Bauarbeiter:innen und Umweltschützer:innen stieg die Unterstützung der Kraftwerksgegner:innen und wuchs die Besetzung, bis schließlich mehrere tausend Menschen die Au besetzten. Die Umweltschützer:innen kamen dabei aus allen politischen Lagern und Gesellschaftsschichten. Neben einigen späteren Größen der Grünen Partei, saßen hinter den Barrikaden auch der ÖVP-Politiker Andrä Rupprechte und die spätere FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer. Auch die mediale Unterstützung wuchs. Am 15. September unterbrachen Aktivist:innen vor laufender Kamera die Sendung “Wetten, dass…?”, bei der der Bundeskanzler anwesend war. Anstatt sie aus dem Studio zu weisen, wurde ihnen das Mikrophon gereicht.
Krieg und Frieden in der Au
Am 19. Dezember kam es schließlich zum Zusammenstoß. Innenminister Karl Blecha (SPÖ) hatte den Auftrag gegeben, die Besetzung zu räumen. 2.000 Polizeibeamte wurden in die Au geschickt und gingen mit Schlagstöcken, Hundestaffel und Wasserwerfern auf die Aktivist:innen los. 20 Menschen wurden dabei verletzt, 300 Bäume gefällt. Die Besetzung war damit beendet, doch der Aufschrei war groß. Noch am selben Tag versammelten sich in Wien 40.000 Menschen, um Solidarität mit den Besetzer:innen zu zeigen und gegen die Räumung zu protestieren. Auch die Kronenzeitung solidarisierte sich und titelte “Die Schande von Hainburg”.

Der Aufruhr war zu groß für die Politik, um einfach weiterzumachen. Zwei Tage später, am 21. Dezember, wurde vom Bundeskanzler Sinowatz ein “Weihnachtsfrieden” ausgerufen und die Bauarbeiten erstmals bis Ende des Jahres ausgesetzt. Sie sollten nie wieder aufgenommen werden.
Am 2. Jänner erklärte der Verwaltungsgerichtshof aufgrund einer Beschwerde des WWF die wasserrechtliche Genehmigung, die dem Kraftwerksbau zugrunde lag, für gesetzeswidrig und untersagte den Baubeginn. Damit war das Donaukraftwerk in der Stopfenreuther Au quasi gestorben.
Das sogenannte „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ für die Errichtung eines Nationalparks in den Donau-Auen, das noch im Frühjahr des Jahres 1985 durchgeführt wurde, erhielt 350.000 Unterschriften und gehört damit zu den 25 meinstunterschriebensten Volksbegehren in Österreich. Heute ist der Nationalpark Donauauen einer von sechs österreichischen Nationalparks und die letzte freie Fließstrecke der Donau in Mitteleuropa. Wien trägt dank der Umweltschutzbemühungen in Hainburg den Titel der einzigen Stadt der Welt mit Nationalpark innerhalb der Stadtgrenzen.
Geburtsstunde des Ökoaktivismus
Die Besetzung in der Stopfenreuther Au entfaltete aber weit über die Grenzen des heutigen Nationalparks hinaus seine Wirkung. Sie stärkte und begründete die österreichische Umweltbewegung. Sie führte zu einem allgemeinen Umdenken in Gesellschaft und Politik: weg vom Primat der Technik, hin zu sanfteren energiewirtschaftlichen Eingriffen in die Natur. Dass die Grünen in Hainburg gegründet wurden, gehört längst zum Mythos der Besetzung, ist aber so nicht ganz wahr. Die Vorgängerorganisationen der Grünen waren bereits im Jahr 1982 gegründet worden, der Zusammenschluss der beiden zur Grünen Partei passierte erst 1986. Einige spätere Grünen-Politiker:innen waren, sowie Personen aus allen anderen Lagern, bei der Besetzung aber an vorderer Front dabei.

Was trug zum Erfolg bei?
- Protestbewegung fand breite gesellschaftliche Unterstützung
- mediale Unterstützung auch von der meinungsmachenden Kronen Zeitung
- Unterstützung von prominente Figuren (vor allem aus der Kunstszene, z.B. Friedensreich Hundertwasser, Peter Turrini)
- Massenaktionen wie Demonstrationen
- ziviler Ungehorsam
- Ausschlaggebend für den Stop war die juristische Vorgangsweise des WWF
- Meinungsdivergenzen innerhalb der Parteien
Welche Mittel wurden von der Initiative eingesetzt?
- Öffentlichkeitsarbeit (Pressearbeit, Social Media, Informationsmaterial)
- Protestdemonstrationen
- Ziviler Ungehorsam und Besetzungen
- Juristische Mittel
- Organizing
- Bündnisse
- Lobbying, Gespräche mit Entscheider:innen
- Bezahlte Werbung
- Unterschriften und Petitionen
Quellen
- https://www.diepresse.com/526522/25-jahre-hainburg-die-erben-der-au
- https://hdgoe.at/hainburger-au
- Aktionsgemeinschaft gegen das Kraftwerk Hainburg (1984): Das Projekt Donaukraftwerk Hainburg. Wien.
- Gutschik R., Horvath P., Weinzierl R. (2007): Konflikte um Infrastrukturprojekte in Österreich: Erkenntnisse für Politik und Gesellschaft. Wien.
- Schmid M., Veichtlbauer O. (o.J.): Vom Naturschutz zur Ökologiebewegung. Umweltgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik.
- https://oe1.orf.at/artikel/207895/Die-verhinderte-Schlacht-um-Hainburg
- Parlamentsdebatte Protokoll Seite 7, https://www.parlament.gv.at/dokument/unterlagen/Hainburg.pdf
- https://newsv2.orf.at/stories/2256539/2256533/
- https://noe.orf.at/magazin/stories/3168089/
- https://www.diepresse.com/4612693/30-jahre-hainburg-der-verhinderte-auwald-mord#slide-13